Dienstag, 24. November 2015

23.11.2015 - Menschen zeichnen: Zusammenfassung 1

Kurzgefasst

Wir haben an diesem Abend jeden einzelnen Schritt der Beschäftigung mit dem menschlichen Kopf noch einmal im Zusammenhang angeschaut. Dabei sollte festgestellt werden, dass in diesem Vorgehen das Modell für alle künftigen Auseinandersetzungen mit allen übrigen Objekten der Welt, die den Zeichnenden interessieren, gesehen werden kann:

- Warmups, die sich mit der Linie und der eigenen Verfassung beschäftigen
- Skribbels, die summarisch mit wenigen Hilfslinien nur ungefähr erfassen wollen, was man sieht, dabei aber auf möglichst unverkrampfte Weise allmählich den Blick auf die Tücken des Objekts lenken, mit der entspannten Gewissheit, dass nichts stimmen muss.
- Skribbels über Mutmassungen, Annahmen über Zusammenhänge und Maßpunkte.
- Blindzeichnung, die Einzelheiten der Form erschließen hilft, die Form dabei aber gerne aus den Augen verliert - was gut und schlecht zugleich ist.
Es zeigt sich, dass in der Realität alle Formen oft sehr viel komplexer sind, als man zunächst annimmt. Das Genauhinschauzeichnen räumt pöapö mit all diesen Vereinfachungen auf, nebenbei füllt sich das Erinnerungsreservoire über die Erscheinung der Dinge.
- Analytisches und konstrierendes Zeichnen parallel zur Beobachtung der Anatomie. Hier sind Vereinfachungen zunächst nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten, da gar nicht anders möglich.
Am Ende jedoch sollten sich alle Herangehensweisen und Beobachtungen zu einem Bild verdichten.

Mir ist es wichtig, hier noch einmal zu betonen, dass ich euch mit den konstruierten und analytischen Zeichnungen einen von vielen möglichen Wegen aufzeige, die dabei helfen sollen, den Blick organisiert auf etwas zu lenken, das sich in Wahrheit - etwa zeichnend vor einem lebenden Menschen - völlig anders darstellen wird. D.h. ihr erhaltet mit den Modellvorstellungen eine Blickhilfe, die euch in der Realität den ständigen "Regelbruch" oder die spezifische Variante beobachtbar machen hilft.


Demo an der Tafel:

Ihr habt eine Zeichnung auf einer langen Papierrolle in der Art eines Leporello angefangen, die euch Schritt für Schritt noch einmal vor Augen führen soll, wie man als Zeichnender exemplarisch an etwas so Komplexes wie den menschlichen Kopf herangehen kann.

Warmups, die sich mit der Linie und der eigenen Verfassung beschäftigen.

Skribbels, die summarisch mit wenigen Hilfslinien nur ungefähr erfassen sollen, was man sieht, dabei aber auf möglichst unverkrampfte Weise allmählich den Blick auf die Tücken des Objekts lenken, mit der entspannten Gewissheit, dass nichts stimmen muss.


Bei dieser Zeichnung wurde locker geskribbelt über einen am eigenen Gesicht abgenommenen Abstand von Kinn und Nasenansatz, dreimal übereinander plus ein Wenig, die Verdichtungen der Augenplätze auch aus dem gleichen Abstand und möglichst keine Einzelheit definiert!


Skribbels über Mutmassungen, Annahmen über Zusammenhänge und Maßpunkte.

Bei dieser Zeichnung wurde zwar aus Demogründen nicht locker gekribbelt, sondern auf einem Raster aus Hilfe- und Konstruktionslinien gleich das Beziehungsgeflecht der Elemente des Gesichts erklärt.
Aber es ist auf jeden Fall nützlich, dieses Beziehungsraster auch locker öfter mal nur zu skribbeln, um die Zusammenhänge durchzuspielen. Versucht auch dabei, eure Gewohnheiten zu brechen, indem ihr mal zuerst vom Kinn und Mund aus, dann Stirn und Ohren und zum Schluss erst Augen und Nase zeichnet. Viele beginnen immer zuerst mit den Augen und tappen dabei von vornherein in sämtliche Fallen des symbolischen Zeichnens... bei dem die Augen oft riesig werden und alle Proportionen aus dem Leim gehen...
Dieses Raster kann auch in reduzierter Form hilfreich sein, den Zusammenhang von grossen Formen und den Einzelheiten zu erkennen. Es empfiehlt sich also, alle Zwischenstufen der gezeigten Markierungen einmal locker durchzuskribbeln, bevor man an definierte Einzelheiten geht,

Blindzeichnung, die Einzelheiten der Form erschließen hilft. Es zeigt sich, dass in der Realität alle Formen oft sehr viel komplexer sind, als man zunächst annimmt. Das Genauhinschauzeichnen räumt pöapö mit all diesen inneren Vorurteilen und Vereinfachungen auf, nebenbei füllt sich das Erinnerungsreservoire über die Erscheinung der Dinge, was dem Zeichnenden nützt.

Analytisches und konstrierendes Zeichnen parallel zur Beobachtung der Anatomie. Hier sind Vereinfachungen zunächst nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten, weil die Realität atemberaubend komplizierter ist...

Am Ende jedoch sollten sich alle Herangehensweisen und Beobachtungen zu einem Bild verdichten, das nicht notwendig fotografisches Abbild sein muss, aber mit den gesammelten Informationen ein Neues, Anderes aus begründeten Annahmen schaffen kann, das nicht reinem Zufall unterliegt - was dem künstlerischen Zeichnen dienlich ist...


Den Zeichenfehler am Nasenflügel bitte ignorieren! Werde nächste Stunde noch einmal konzentrierter darauf eingehen. Wichtig ist zunächst einmal zu sehen, dass es diagonale Strukturen im Profil gibt, die zu organisieren und platzieren helfen. Wie, werde ich nächste Stunde genauer zeigen.



Die Folien der letzten Stunde bitte noch einmal daraufhin anschauen. Hier sind die diagonalen Strukturen am Schädelmodell ziemlich zutreffend markiert:




In der kommenden Stunde wiederhole ich kurz bis zu diesem Punkt, gehe noch einmal auf die Platzierung der Einzelheiten wie Auge, Mund, Nase und Ohr ein und werde demonstrieren, was im kommenden Semester weiter und vor allem tiefer und genauer erarbeitet wird: 
Die dritte Dimension, 
Plastizität, 
Konstruktion der Einzelheiten im Zusammenhang mit Knochenbau und Muskulatur,
Mimik, Emotionen 
Unterschiede Mann/Frau, Jung/Alt, Ethnien.

Eines noch, das mir gestern Abend erhellend klar geworden ist:
Achtet mal darauf, mehrfach war gestern ein im Hintergrund gerauntes "ist ja viel zu groß gezeichnet" oder "ist da doch nicht" zu hören, was sich dann aber im Nachhinein im Gesamtblick auf die Zeichnung als einigermassen stimmig erwies.
D.h. hier liegt oft einer der Gründe für missglückt proportionierte Zeichnungen, dass wir meinen, unseren Augen oft nicht trauen zu können und dann auf Grundlage unseres Vorwissens (bzw. eigentlich Vorunwissens, das aber mächtig symbolisch ist) korrigieren, um uns am Ende dann aber über seltsam gnomige Gestalten zu wundern.

Dabei:
Die Ohren sind oft wirklich recht groß.
Die Augen oft sehr viel kleiner als gedacht,
die Schädelflächen groß und scheinbar leer,
die Nase gerne ein beachtliches Objekt prominenter Gestalt...

Beispiel: Der Schauspieler Christian Redel im gestrigen  "Spreewaldkrimi"




Schlussendlich:

Wer es mit dem Menschenzeichnen und später sogar Porträtzeichnen ernst meinen sollte, dem empfehle ich unbedingt, sich ein Schädelmodell anzuschaffen und dieses so oft wie möglich aus allen Blickwinkeln wie gezeigt zu studieren.
Preiswerte Plastikabgüsse eines Schädels sind über die Website Skelett24.de oder über amazon.de
für unter 50 € erhältlich.

Was Bücherempfehlungen anbelangt, möchte ich euch auf kommendes Semester vertrösten, da es mir ein besonderes Anliegen ist, hier eine begründete Auswahl vorzustellen. Es gibt zu viel Mist und es gibt Grossartiges in manchmal schlimmer Gestalt, wie z.B. den bereits vorgestellten Bammes (z.B. "Menschen zeichnen"), den man m.E. gerne anschaut, aber weniger gerne liest...
Ich werde euch einiges vorstellen, bis dahin übt lieber häufiger aber auch nicht mehr als das, was wir bisher erarbeitet haben ;-)

Dienstag, 17. November 2015

16.11.2015 - Menschen zeichnen: Analytisch zeichnen 2

Wie versprochen, die Folien sofort, Text folgt pöapö...

Kurzfassung:

- Sudeln, Skribbeln, Blindzeichnen und Drahtmodellstudien an der Vorlage der "Bella Principessa".
- Demo Schädelaufbau und Vergleich mit dem gezeichneten Profil der Principessa
- Zeichnen der Seitenansicht des konkreten Schädelmodells.

FAZIT:
Mit dem Gesudel/Stifterkundung, den Skribbels, Blindzeichnungen und den Studien habe ich versucht klarzumachen, wie sich ein Zeichner auf jedes Thema auf diese Weise einstellen und vorbereiten kann.
Die Abläufe werden sich in Zukunft nicht wesentlich ändern:
Es wird immer vom Allereinfachsten zum Komplizierteren in kleinen Schritten gehen, ein Vorgehen, das ich selbst so anwende und das ich unbedingt empfehle.
Zumal ich auch gestern wieder feststellen musste, dass sich vor dem Studienobjekt immer sofort und  gerne eine Art innerer geistiger und zeichnerischer Verkrampfung einstellt, die geradezu zur überangestrengten Perfektion oder zu einem Endergebnis zu zwingen scheint...
Aber selbst auch Zeichenprofis gehen immer so vor, dass sie sich insbesondere vor schwierigen Zeichenaufgaben erst einmal locker skribbelnd und dann erst nach und nach an die Details des Objekts heranarbeiten.
Dieses Vorgehen werden wir auch in der kommenden Landschaftszeichnung und dem Stilleben anzuwenden üben.

Folien des Abends:






















Profilbilder der Teilnehmer, nah:










Sonntag, 15. November 2015

9.11.2015 - Menschen zeichnen: Analytisch zeichnen 1

Kurzfassung:

La Bella Principessa - Abend

Warmups oder Das Üben üben:
Ausschliesslich heute nur den No.2, HB oder B - Bleistift erkunden, diesmal die delikate Seite des Stiftes. Schwünge, Bögen, Kreise, Ellipsen, so fein, so artikuliert, schön und fliessend wie nur möglich. "Die Kufenspur der Kür der Eisprinzessin" passend zum Motto des Abends zeichnen.
Dabei so leicht und dann wieder auch akzentuiert wie möglich zeichnen.

Übungen:
Die ausgeteilte delikate Profilzeichnung "La Bella Principessa" zuerst im Ganzen nachskribbeln, sich einschauen, die Platzierung nachspielen und die Einzelheiten andeuten, dann blind im Ganzen und/oder in Teilen nachzeichnen, schwierige Elemente (Form des Mundes, der Nase und der Augen)  wiederholt zeichnen.

Die Hauptübung des Abends bestand darin, die delikate Kontur des Gesichts mit dünnem Blumendraht nachzubilden (4 Teile) und diese zunächst spielerisch unterschiedlich zu platzieren und nachzuzeichnen. Bewußt sollte werden, dass "Schönheit" seltener Sonderfall der Platzierung ist, es entsteht aber Charaktervolles..;-) zwischen Gruselkabinett und Karikatur, der Grat zwischen Oger  und Princess ist demnach doch arg schmal...
Stichworte: Schönheitsideale, Unterbiss versus Überbiss...

(Hier Nachtrag der Ergebnisse - habe leider zu fotografieren vergessen!) 
Bitte eure Arbeiten am kommenden Montag mitbringen !)

FAZIT: Obwohl doch die Einzelheiten einigermassen im Maß sind und jedes Drahtbauteil auch ansatzweise schön gestaltet ist, scheint noch etwas anderes zusätzlich wichtig zu sein, um den Eindruck der Vollkommenheit und Schönheit oder wenigstens der Zutreffenheit zu erwecken - was uns im 2.Teil der Analyse beschäftigen wird.


Kurzer kunsthistorischer Exkurs zum Hintergrund der Zeichnung:
- Gewagt oberflächliche Kurzgeschichte des abendländischen Portraits von Phidias bis zur Renaissance, oder:
Vom Idealen über das Typische zum Realen - gereinigt oder pur ist Geschmack- oder Ideologiesache...

- Der Autor von "La Bella Principessa" ist strittig, Zuschreibung Leonardos Ende 20.Jh. durch den namhaften Kunsthistoriker Martin Kemp.
Evtl. aber handelt es sich lediglich um eine Kopie im Stil Leonardos durch 19. Jh Zeichner im sog. Nazarener Umkreis.
Gleichwohl und egal, wer es gezeichnet hat, schön hat er es hingekriegt...und darum geht es heute: Die ideale Linie.

"Kemps Detektivarbeit gibt der Porträtierten schließlich einen Namen: Bianca Sforza – eine Cousine von Bianca Maria Sforza, der späteren Kaiserin des Heiligen Römischen Reichs. Bianca war die uneheliche Tochter des Herzogs von Mailand und wurde 1496 mit Galeazzo Sanseverino verheiratet, Befehlshaber der Mailänder Streitkräfte und ein Förderer von Leonardo. Das Porträt entstand, als sie 13 oder 14 war. Tragischerweise starb sie einige Monate darauf. Kemp tauft die Zeichnung „La Bella Principessa“, die schöne Prinzessin."

Die ganze Hintergrundgeschichte ist interessant:
Essay in National Geographic, deutscher Text:
Die vollständige Story ist überwiegend leider nur in englisch online:
Wikipedia, mit allen Quellen

Ergänzung 1.12.15:
Dank Beate erfahren wir, dass der "Krimi" weitergeht, abstrus vielleicht, aber immerhin unterhaltsam.
Die Bildzeitung textet am 30.11. folgendes:
Bella Principessa nach Bild...

Wie dem auch immer sei, das Bild hat gefallen und war lehrreich, egal ob eine (zickige??? - wie kommen die nur da drauf, das Bild gibt es jedenfalls so nicht her) Kassiererin aus Bolton,  20.Jh GB oder eine (melancholische?!) Prinzessin des15.Jh aus I - es ist sehr schön gezeichnet, alles andere als plump (wer nur denkt das wirklich? - ich habe euch berühmte Pollaiuolos gezeigt, die  man durchaus plump nennen darf, aber das hier...?) und hat uns viel zu spielen und denken gegeben ;-))



Folien des Abends:






Der kostenlose und nicht durch Gedränge erschwerte Besuch der Online Ausstellung von 2011 im Bode Museum Berlin lohnt heute immer noch und gibt einen unverstellten Blick auf die Crème der Renaissance Portraitmalerei und - zeichnung !




 Hier unsere Studienvorlage:





Nachtrag zum Blindzeichnen:
Hier die Zeichnung eines 11 Jahre alten Schülers der JKS Nagold, der die Gabe hat, sehr genau und einen durch Beurteilung ungetrübten Blick mit Bleistift blicksynchron zeichnen zu können. Eine für einen jungen Kerl sehr ungewöhnlich reife Zeichnung:



Tafelbild und Unterrichtsvorbereitung mit Bauanleitung zur Übung:





Bewußt sollte werden, dass "Schönheit" seltener Sonderfall der Platzierung ist, es entsteht oft dagegen freundlich formuliert eher Charaktervolles..;-) zwischen Gruselkabinett und Karikatur, der Grat zwischen Oger  und Princess ist demnach doch arg schmal...



UNTERWEGS - Von 2011-2022 / Graphic Novel "Unterwegs - 8 authentische Stories" und Ausstellung "Urban Sketching" im Horber Kloster vom 9.9. - 2.10.22

 Ausstellung HORB 9.9. - 2.10.22 GEZEICHNETE REISEBERICHTE - AUSSTELLUNG "Urban Sketching" im Horber Kloster vom Fr. 9.9. - So 2.1...