Montag, 20. Oktober 2014

MO 13.10.14- Mit den Ohren zeichnen

Kurztext:

An diesem Abend ging es darum, Anregungen aus der Musik in das von Ausdruck und Gefühl getragene Linienproduzieren einzubeziehen.


Folien:





















Langer Text:
(work in progress)

Nachdem wir vergangenen Montag relativ spontan und unbefangen erste Warmups zeichneten, die uns eine Begegnung mit unserem jeweils persönlichen Strich brachten, kreiste die zweite Stunde um die Untersuchung unseres Ausdrucks.

Der in der Welt der Zeichnung gebräuchliche Begriff für die mit der Persönlichkeit des Zeichners verbundene Qualität der Linie ist DUKTUS.

Ein Vergleich mit unserer tief sitzenden Gewöhnung an einen ausgeglichenen und geradezu gleichförmigen Schreib-duktus führte klar vor, dass diese für die Sprachkommunikation sinnvolle Haltung geradezu ein Hindernis beim Zeichnen darstellt. 
Also ist nicht nur die Schreibhaltung des Werkzeugs, sondern auch die überaus kontrollierte und gleichförmige Art und Weise der Linienproduktion für das Zeichnen ungeeignet.

Es gibt in der Zeichenkunst überraschenderweise keine verbindliche Sprache über die Linienqualität. Der von Zeichenlehrern oft geäußerte Hinweis, beim Zeichnen doch bitte die Linienstärken und den damit verbundenen Druck der Hand bzw. des Instruments zu variieren, macht den Anfänger oft ratlos: Worin sollen denn diese Unterschiede im Strich begründet sein? Wann und warum soll man das denn tun? Ist das nicht oft beliebig und dem Augenblick, dem Zufall, der Stimmung unterworfen? Oder gibt es dafür Regeln?
Berechtigte Fragen, die sich im Prinzip nur der Zeichnende im Laufe der Zeit und Übung selbst beantworten kann. 


Da es wie gesagt für die Zeichner keine verbindliche Sprache dafür gibt, machte ich den Versuch, einen Übertrag aus der Musik zu wagen. In der notierten Musik gibt es für den Interpreten Hinweise auf die Ausführung und den Ausdruck der jeweiligen Passage eines Musikstückes. In der musikalischen Ausführung ist hier der Kern der künstlerischen Interpretation, denn die Anweisungen lassen immer Spielraum der Deutung.

Ähnliches könnte man nun auf die gezeichnete Linie übertragen:
Stellt euch vor, der Zeichenstift sei ein Instrument, die ausgeführte Spur der Ton.
Der Ausdruck einer Spur, eines Tones wäre dann aus den folgenden Elementen gebildet:

1) ARTIKULATION = Art der Ausführung, die Art des Ansatzes:
Von STACCATO (abgehackt, unverbunden, abgesetzt) <----> bis LEGATO (fliessend)

2) TEMPO = Geschwindigkeit der Ausführung:
Von LARGHISSIMO (sehr breit, behäbig) <----> bis PRESTISSIMO (sehr schnell)

3) DYNAMIK = Stärke oder Kraft der Ausführung:
Von piano pianissimo (ppp, sehr zart) <----> bis forte fortissimo (fff, sehr kräftig)

Spielt bitte in künftigen Warmups einfach alle Möglichkeiten und Kombinationen der Strichbildung durch, zum Beispiel:

- Sehr schnell ausgeführte, abgehackte, aber zart gesetzte Striche - und umgekehrt.
- Lang fliessende, ruhig ausgeführte kräftige Spuren - und umgekehrt.
- Sehr kräftige, behäbig aber abgehackt gesetzte Spuren - und umgekehrt.

Zwischen den genannten Extrempolen liegen viele Nuancen des Ausdrucks. Es sind unerschöpflich viele Kombinationen der genannten Elemente möglich.


Ziel der Übung insgesamt:
Euch soll zunehmend auffallen, dass ihr mit einem einzigen Werkzeug wie z.B. dem Signierstift viele Möglichkeiten des Ausdrucks habt. Je bewusster man diese Elemente der Spurbildung einsetzt, desto lebendiger und individueller werden eure Zeichnungen, gleichgültig, ob man nun abstrakt oder gegenständlich arbeitet.

Achtet einmal ganz bewusst beim Betrachten von Arbeiten anderer Zeichner, wie diese ihren Strich setzen: 
Van Goghs geschwind und dynamisch gesetzte Rohrfederspuren,   


Daumiers lebendig-nervös und flirrend unbestimmt gesetzte Reuelinien,

Ingres zuweilen bestimmt und klar geführte Grenzlinien,

Klimts zärtlich fliessende Linie. 


Ignoriert dabei einmal, WAS gezeichnet wird, sondern beobachtet nur das WIE.



Allgemeines zu den WARMUPS:

 Bei den Warmups lege ich grossen Wert darauf, dass ihr diese so locker wie möglich machen könnt und frei und ungezwungen, ohne gestalterische Auflage, einfach drauflos zeichnet. 
Vermeidet also beim Warmzeichnen alles, was euch hemmen will oder lange überlegen lässt. Das Warmup ist nicht das Endspiel. Die nachfolgenden Übungen sind nur "Freundschaftsspiele", hierbei gibt es nichts zu perfektionieren ;-)....

2 Warmups des Abends:
Zur Einstimmung haben wir  3 grossformatige "Sudeleien" gezeichnet, in der ihr die Aufgaben hattet:

- Mach es Schwarz
- Mach es Mittelgrau
- Mach es kaum Grau

Überraschend vielfältig die Lösungen, warm gezeichnet haben wir uns aber alle dabei. das war das Ziel.

Übungen des Abends:
Wir haben die folgenden Übungen am Abend mit Hilfe einfacher, minimalistischer Musikstücke und ohne jede theoretische Voreinstellung gemacht. 
Wenn ihr das Folgende zu Hause üben wollt, legt euch bitte entsprechende Musik dazu auf, notfalls aber kann man Musik auch nur denken.


 1) STACCATO

Zeichnet auf dem abgegrenzten, viereckigen Spielfeld eines möglichst grossen Blattes alle möglichen abgehackten, abgesetzten Spuren, mal zart, mal kräftig. Immer wieder an- und absetzend, sodass euch ein gewisser Puls oder Rhythmus auffällt, auch in Bewegungen, die euch eigentlich gar nicht liegen.

Wechselt das Tempo, die Kraft, auch die Richtung und Grösse der Spur darf sich ändern. Denkt an ein staccato vorgetragenes Musikstück und zeichnet direkt, was ihr hört. Oder legt euch zu Hause Musik auf und zeichnet dazu, auch mit geschlossenen Augen. Singt oder summt euer Bild.









2) LEGATO

Die gleiche Spielanordnung wie oben, dieses Mal allerdings mit fliessenden Spuren.



3) Staccato und Legato





Übung des Abends:  Staccato, legato, laut und leise, schnell und langsam



Werke des Abends:

"Das große Orchester stimmt sich ein" oder: Ekstatisches kakophonisches Ensemble

alternativ:
Der Lärm der Strasse



Hausaufgabe:

Zeichnet weiterhin alle Möglichkeiten des Ausdrucks zwischen Staccato und Legato, so zart und kräftig wie möglich, mal schnell, mal bedächtig.
Zeichnet auch einmal mit geschlossenen Augen zu eurem Lieblingsstück, experimentiert mit fremden Musikstücken in unterschiedlichen Tempi und anderem Ausdruck.

Schaut, welche Palette an Spuren ein einziges Werkzeug hergibt, indem ihr den Stift in allen erdenklichen Haltungen und mit unterschiedlichem Druck verwendet.

Ruhig auch öfter mal ein ganz systematisches Blatt, auf dem ihr nebeneinander gestellt festhaltet, was ihr entdeckt habt:



Für diejenigen, die Musik nicht mögen (gibt es das??) , lassen sich alle Übungen auch auf Geräusche und Klänge des Alltags übertragen:

Zeichnet eine belebte Strasse - nur den Höreindruck allerdings, nicht die konkreten Dinge!
Oder stellt euch einen Wald vor bzw. seinen Klang. Wie das Meer klingt. Oder der Wind.
Hört mal bewusst Fernsehn und zeichnet spontan, was ihr gerade hört, wie ein seismografisches Gerät.



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