Dienstag, 21. Oktober 2014

MO 20.10.14 - Mit den Ohren zeichnen II


Kurzer Text:
Die Linie hatte heute den Auftrag, bestimmte und uns allen bekannte Emotionen darzustellen.

Langer Text:
Vielleicht kommt Ihnen der Ansatz "Mit den Ohren zu zeichnen" etwas albern vor oder er liegt Ihnen erst einmal einfach nicht.
Zumindest aber ist er ungewöhnlich! Er darf Ihnen durchaus auch nicht gefallen und nicht zu den Ergebnissen führen, die Sie erwartet haben. Die Erwartungen zu unterlaufen und das Zeichnen anders oder gar neu erleben zu lassen ist ja u.v.a. eines meiner Ziele.
Falls Sie trotzdem gar nichts damit anfangen können - in Ordnung! Es geht ja vorbei, schauen Sie einfach mit etwas Geduld und Toleranz auf das gewiss nahende Ende dieser anfänglichen Übungen und versuchen Sie sich Ihren eigenen Reim darauf zu machen.

Ziel dieser Übungen ist es, Ihnen bewusst zu machen, woher Zeichnen eigentlich kommt. 
Wir sind in der Regel so sehr darauf fixiert, mit dem Zeicheninstrument eine ausserhalb von uns selbst existierende Realität möglichst so genau wiedergeben zu wollen und im Extremfall "wie in echt" zu wiederholen, dass uns einer der wichtigsten Aspekte des Zeichnens oft erst sehr spät dämmert:
Es ist die persönliche, lebendige und ausdrucksvolle Linie/der Strich/die Spur, die eine gute Zeichnung ausmacht - gleichgültig, ob man nun abstrakt oder gegenständlich zu zeichnen vor hat !
Eine langweilige Zeichenspur rettet auch nicht im Geringsten eine noch so ambitionierte Zeichnung.

Ihnen die LINIE und deren Qualitäten vor Augen zu führen, ist zunächst Thema der ersten Wochen.
In der letzten Stunde verglich ich die Linie mit der Art, wie ein Musiker einen Ton produziert. Wenn man es genauer bedenkt, sind Linien, Zeichenspuren sehr gut mit den Tönen in der Musik vergleichbar. Gleichgültig wie genau diese nun produziert werden, sie machen die Musik und lassen etwas von den Beweggründen des Produzenten erahnen. Ein nur technisch korrekter Tonvollzug mag "richtig" sein, aber Musik macht er noch lange nicht!

Die Übungen der beiden "Ohren"-Abende lassen etwas von der Vielfalt und Bedeutung des Ausdrucks der Linie erahnen.

An diesem Abend nun ging es im nächsten Schritt darum, den Gefühlen, die in der vergangenen Stunde mit der Musik verbunden und dadurch im Wortsinn noch undeutlich waren, konkretere Bedeutung mitzugeben.

Die Linie hatte dagegen heute den Auftrag, bestimmte und uns allen bekannte Emotionen darzustellen. 
Die Ohren hatten dabei die Rolle, den ausgesprochenen "Spielauftrag" ("Wut", "Angst", "Freude", "Überraschung" etc) zu hören und via Hirn, Herz und Verstand den Zeichnenden dazu zu bringen, nachfühlend der Linie eine immer zwar persönliche aber oft für andere dann doch erstaunlich plausible Form zu geben, die die genannte Emotion darstellt.
Meine belegbare Behauptung ist es, dass wir alle von Geburt an weltweit das gleiche Grundrepertoire der dem Menschen möglichen Grundgefühle kennen, wiedererkennen, deuten und (mit der Zeit auch mit dem Zeichenstift) darstellen können. Eine evolutionäre Notwendigkeit, die Orientierung geben kann, Schutz, Abwehr oder Öffnung veranlasst.
Darauf setzten die Übungen des Abends an. Dass komplexe Emotionen schon schwerer zu erfassen und wiederzugeben sind, wurde nebenbei natürlich auch klar - was aber spätestens bei der kommenden Auseinandersetzung mit dem Zeichnen von Menschen spannend wird.

Ich nenne die vorgestellen Übungen "Übungen zur Empathie", eine Voreinstellung, die der Zeichner unbedingt trainieren sollte. Denn jede Zeichnung geht von uns, also unserer Wahrnehmung der Welt und der Auseinandersetzung und Kenntnis des Selbst aus: Man kann eigentlich nur richtig zeichnen, was man in sich kennt und nachvollziehen kann - ist meine noch zu beweisende These. Die ich vorerst einmal so stehen lasse.

Abschliessend versuchten wir dann zum ersten Mal alles bisher Gelernte in raschen gestischen Zeichnungen von konkreten Menschen vor uns anzuwenden. Ich erklärte Ihnen, was eine Geste ist und wie man diese so schnell, wie man sie machen kann auch als Zeichengeste aufs Papier bringen kann, die nicht notwendig deutbar eine menschliche Figur darstellen muss, sondern die Energie einer Bewegung oder einer Tätigkeit. Wir haben dabei auf Zuruf wacker allerlei Emotionen auf unsere Modelle projeziert und diese zu zeichnen versucht, indem wir der Linie den mutmasslichen Seelenzustand des Gegenüber mitgaben. Heftige Gefühle wurden deutlich und mehr oder weniger unterscheidbar erkennbar...

Wir werden so ab jetzt immer mal wieder und zunehmend häufiger das Zeichnen von Menschen üben.


Folien des Abends:

















Beispiele:





Beispiele:




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