Dienstag, 19. Mai 2020

Lektion 4, Montag 18.5.20 - Die Rolle des Wissens beim Zeichnen


1 Stichworte 

Wissen und Zeichnen. Proportionen. Perspektive. Raum. Licht und Schatten. Maß. Massen. Messen. Anatomie. Werkzeuge. Technik.

2 Ein-Satz-Inhaltsangabe

Die Aufgabe des Wissens beim Zeichnen, im Gegensatz zum reinen Sehen (Lektion 3) und der reinen Emotion (Lektion 1 und 2).


3 Kurzfassung 

Wir haben letzte Woche beim Blindzeichnen gelernt, dass wir den starken Kontrollzwang, alles perfekt und richtig machen zu wollen, mit ein paar Übungen austricksen müssen und können, da wir sonst einfach nicht genau hinschauen wollen und können. Aber das sollte ein Zeichner/Maler!
Dabei haben wir gelernt, dass das Auge allein auf sich gestellt auch schlau ist, aber auf seine eigene Weise.

Gestern ging es darum, den übermächtigen inneren "Control Freak"/Kontrollzwang der Ratio bzw. des Wissens wieder zuzulassen, ihm aber eine untergeordnete  Rolle beim Zeichnen zu geben:
Er vergleicht Größen und Massen, errechnet die Raumverhältnisse und die Beziehungen in Proportionen, und setzt letztlich nützliche Markierungen, die an der konventionellen Erwartung an die Gestalt eines Gegenstands orientiert ist.
Für manche also "stimmig und richtig" im Sinne von "realistsch wie ein Foto" - was ich bei Gelegenheit gerne tiefer mit euch behandeln würde, da ich den Auftrag der Zeichnung nicht darin sehe, das Fotografische nachzustellen... - was wir diskutieren sollten.



4 Medien (txt, pdf, DEMO-Fotos, DEMO-Filme)

(kommen ab Mittwoch)

5 Hauptlinks zu Büchern, YouTube, Websites, Apps

Apps:
Der Markt der 3D Apps zur künstlerischen oder medizinischen Anatomie ist groß und mit sehr nützlichen Apps für entweder Posen oder Details des Körperaufbaus ausgestattet. Die Kostenspanne ist auch groß. Da ich nur den Markt für das iPad kenne, möchte ich euch bitten, selbst die für eure jeweiligen Geräte passenden Apps zu suchen und auszuprobieren. Was ihr aber auf alle Fälle tun solltet, denn es ist nicht nur faszinierend, sondern auch für das Verstehen des Körpers notwendig, ihn auf so bequeme Weise aus allen nur denkbaren Perspektiven sehen und zeichnen zu können - etwas, was kein Buch über Anatomie bieten kann. Probiert es aus!

Ein klassisches und nützliches Beispiel:
- App für iPhone oder iPad, die ich euch gestern zeigte (ca 6 €):
L'Ecorché von MD3D inc.
https://apps.apple.com/de/app/lecorch%C3%A9/id515026024


Bücher:
Jede beliebige Buchausgabe irgendeiner "Anatomie für Künstler" ist nützlich. Hier ist es schwer, ein einziges Buch zu nennen. Man muss es nur tun: das Buch  aufschlagen, die Abbildungen vor allem der großen Formen anschauen und verstehen lernen, nachzeichnen heißt hier nicht , möglichst genau zu kopieren, sondern sich die Zusammenhänge der Formen, das Zusammenspiel der Muskelgruppen mit dem Grundbau des Körpers, dem Skelett und der äußeren Erscheinung in einzelnen Studien zu erschließen. Schön muss da nichts sein...

Das Buch, welches ich empfehlen möchte, hatte ich euch schon ein paarmal vorgestellt. Es ist nicht einfach zu lesen, die Abbildungen sind aber sehr gut geeignet, wenn man sich tiefer mit der Anatomie von Menschen und Tieren aus künstlerischer Sicht beschäftigen möchte:


Gottfried Bammes, Zeichenschule, Studien zur Gestalt von Mensch und Tier, bei boesner für 24,95 €
oder bei boesner Online


6 Aufgaben und Übungen

Anatomische Studie eines Armes mitsamt perspektivischen Verkürzungen:


Achtet bitte auf das Phänomen der "Überschneidung", das den Eindruck der 3D-Räumlichkeit schafft! Dazu gleich ein Illustration von gestern:



Rot markiert sind die Stellen, bei denen man beim Blindzeichnen immer weiter an der Kontur entlang außen bleibend weiterzeichnet, aber spürt, dass man bei jeder Überschneidung in eine andere Form wechselt. Man kann sich  das bewusst machen und entdecken, dass das wichtige Stellen sind, die einem helfen, das Problem von Verkürzungen und überlagernden Formen zu verstehen und zu trainieren. So entsteht ein räumlicher Eindruck, die Andeutung der hintereinander gestaffelten Objekte (hier in Form hintereinander liegender Muskelpakete).
Das kann man mit dem linken Arm oder der linken Hand als Modell sehr gut an sich selbst üben!

Materialien dazu
Screenshots aus der o.g. App "L'Ecorche"






Weiterhin solltet ihr die Aufgabe sowohl
- erskribbeln, also eher ertastend, kritzelnd zeichnen.
- Dann mit Hilfe der "Blindzeichnung" an euerem eigenen linken oder rechten Arm  studieren und zeichnen, auch mit einem leicht vorgezeichneten Strukturgerüst, wie gestern demonstriert, das die Maßverhältnisse und Gelenkpunkte nur andeutet mit Markierungen, die Linien aber aus der Blindzeichnung entwickelt.
- Versucht einmal alle 3 Herangehensweisen in einer Zeichnung nebeneinander oder auch kombinierend anzuwenden und zu vergleichen.


Hierzu solltet ihr allerlei andere Studienmaterialien heranziehen, Abbildungen aus Anatomien, 3D-Apps, die ich euch zeigte.

(links folgen oben unter Punkt 5)

In einer der künftigen Stunden kann ich euch anbieten zu zeigen, wie Studenten der Akademien im 19.Jh an diese Aufgabe gingen und wie sehr diese Art der Zeichnungen bis heute unsere Vorstellungen einer "richtigen" Zeichnung prägen.
(Stichworte: Sight-Size Kohlezeichnungen, Kopie klassischer Gipsplastiken)

7 Ergebnisse



8 Langfassung (Details)


( Hier folgt dann demnächst irgendwann einmal zum Stichwort "Wissen, Zeichnen und Kontrollbedürfnis" ein Text.


Der Text wird untersuchen, wie die klassisch orientierten sog. "richtigen Zeichnungen", die konventionelle Anforderungen an Proportion, Perspektive, Raum, Licht/Schatten-Modellierung und Anatomie zu erfüllen versuchen, eigentlich zu Stande kommen. Was alles gewußt, verstanden, geübt und individuell durchgearbeitet werden muss, oder von Fotografien mit allerlei technischen Hilfsmitteln nachgestellt werden muss, um eine "realistische" Wirkung zu erzielen - was offenbar für viele als höchste Qualitätsstufe einer guten Zeichnung gesucht wird. 

Ihr hört zu Recht meine Skepsis und eine gewisse Polemik heraus - die ich im kommenden Semester gerne mit euch thematisieren möchte: 
Fotografie/Pop-Art/Fotografische Vorlagen in der gegenständlich orientierten Kunst/  zum Verhältnis von Fotografie und Zeichnung/Malerei. Ausgangspunkt könnte etwa sein: David Hockneys Buch über die Methoden der Alten Meister, insbesondere seine provozierenden Caravaggio Studien...)

Der o.g. Text folgt, ist in Arbeit, Arbeitstitel: "Die Grundlagen der klassischen Zeichnung in Geometrie, Mathematik, Naturbeobachtung, Physik...." - also Sachverhalte, über die man sich selten Rechenschaft ablegt, dass sie nicht Talentsache sind, sondern hart zu erarbeitende Disziplinen der an den Phänomenen orientierten vergangenen Wissenschaften.
Also alles andere als Kunst. Aber da und dort je nach Thema heute noch nützlich für ein Gestaltungsgerüst, das man aber auch in Frage stellen sollte und darf...was zu erläutern sein wird in kommenden Stunden.)


Beispiel :
Zur Illustration dazu ein Tafelbild aus einem anderen Kurs, der euch anhand eines supersimplen Objekts "Kugel im Raum" zeigt, was eigentlich alles gewußt werden muss, wenn man eine liegende Kugel zeichnen oder malen möchte. Dinge, die man meint intuitiv schneller erfassen zu können, sich dabei aber gerne schnell vertut, wenn man z.B. ohne das Prinzip der perspektivischen Konstruktion eines Schattens zu kennen, versucht, eine auf dem Tisch liegende, beleuchtete und Schatten werfende  Kugel zeichnen möchte:







Gestriger Schluß:
Seine Erkenntnisse zieht der "Controletti" also nicht aus der Kunst, sondern eigentlich aus der Mathematik, Geometrie, Naturwissenschaft, Physik/Optik etc - und da das alles kulturell vermittelte Dinge sind und in Teilen ein langes Studium erfordern, ist der Zeichnende damit gerne überfordert.

Aber ein "kleines Besteck" von Hilfsmitteln haben wir gestern daraus  als nützlich erfahren:
Markierungen und Strukturgerüste.


Praktische Demo anhand einer Kopfzeichnung:

Ich zeigte euch gestern in einer praktischen Demo am Beispiel einer Kopfzeichnung, dass es zu Beginn letztlich nur ein paar Markierungen sind, die man sich einprägen und in der Realität beobachten muss, um der gegenständlichen Zeichnung von Natur, Tier, Mensch und Dingen ein Grundgerüst zu geben. Dieses Grundgerüst ist für den Anfang erst einmal genug.


Weiterhin habe ich euch gezeigt, dass über dieses Struktur gebende Grundgerüst mit all den bisher kennengelernten Mitteln gearbeitet werden kann:

(Illustration)
So kann man mit den Methoden der Blindzeichnung entlang der gesetzten Markierungen der tendenziell maßlosen Blindzeichung ein konventionelles Ordnungsgerüst geben
(Illustration)
- aber man kann es auch willentlich ignorieren und die anarchischen Wahrnehmungen wuchern lassen. Oder voll emotional dagegen ankritzeln und alle Vorgaben des Maßes und der Ordnung der Dinge dabei willentlich aufheben..
(Illustration)

Hier setzt die künstlerische Wahl und Entscheidung an!








Vorübergehender TextSteinbruch:
...etwas, das mit der emotionalen oder "blinden" Zeichenmethode einfach nicht zu erfassen ist. Sobald man aber nicht mehr "richtig" "gegenständlich" zeichnet, ist das aber auch gleichgültig, ob man es zu konstruieren versteht....



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