Wir beschäftigten uns mit Hilfe eines Kilos Birnen mit den ersten Annäherungen an die räumliche Vorstellungskraft. Diese Beobachtungen kreisen zunächst ohne Konstruktion und geometrische Hilfsvorstellungen um den sog. Mikroraum. Der unserem Auge erstaunlicherweise schon hinreichend Informationen über das räumliche Vorne, Hinten, Oben und Unten gibt.
Wir erfuhren die Geheimnisse der Überschneidungen und die Bereitwilligkeit des Auges, sich von einer Winzigkeit von Linie täuschen zu lassen!
Zum Auftakt übten wir 15 Minuten lang das Üben.
Folien
Lange Fassung
Mit dem 2.Teil des Kurses wechseln wir zu einem dem vorangegangenen Kurs völlig entgegengesetzten Ansatz. Alle analytischen Linkshirner werden jubeln, der synthetische Rechtshirner stöhnt und jammert...;-))
Im vorigen Semester entdeckten wir die expressiven Möglichkeiten und die impressiven Qualitäten des Zeichnens. Zunächst arbeiteten wir motorisch und körperorientiert, dann mit unserem Sehsinn, mit dem Schwerpunkt bei der reinen Wahrnehmung.
Nicht von ungefähr korrespondieren diese Ansätze mit kunstgeschichtlich näheren Stadien der Entwicklung der Zeichenkunst. Schaut euch Zeichnungen des Expressionismus und Impressionismus an, ihr werdet entdecken, wie nah unsere Übungen diesen Strömungen sind. Auch alle folgenden Stile des 20. Jahrhunderts sind verwandt (z.B. Abstrakter Expressionismus, Informel etc). Sie alle teilen im Kern zumindest eines, dass sie allesamt ihren Schwerpunkt in der Persönlichkeit des Zeichners haben und mehr oder weniger ihre eigene Gesetzmässigkeiten entwickeln.
Sie sind also im Wesentlichen individuell und subjektiv - und oft auch originell. Diese Mindestanforderung kennzeichnet die klassische Moderne.
Mit dem heutigen Ansatz fallen wir nun kunsthistorisch betrachtet sehr weit zurück, bis mindestens zu Phidias, dem griechischen Bildhauer um etwa 500 v.Chr., oder wenigstens zum Beginn der Renaissance in Europa im 14. Jahrhundert. Wir werden im Kern die historischen Errungenschaften der visuellen Kultur, die uns prägt, nachvollziehen und dabei entdecken, dass das Sehen eine Geschichte, eine Entwicklung hat und alles andere als allgemein und natürlich vorgegeben ist.
Eventuell wird uns sogar klar, dass unsere Art zu Sehen temporär und relativ ist...
Wenn man von einer klassischen und soliden Grundausbildung im traditionellen Zeichnen spricht, meint man diesen Lehrplan, den ich in dieser Einheit in einem Schnelldurchlauf skizzieren möchte.
Für viele ist dies gleichbedeutend mit "richtig" zeichnen lernen.
Ich möchte diese Frage hier und künftig nur am Rande diskutieren und beantworten, welcher Ansatz nun zum richtigen Zeichnen führt. Ich kann nur jetzt schon sagen, dass man als Zeichner alles angeschaut, beurteilt und ausprobiert haben sollte, um den eigenen Weg zu finden. Vergesst aber jedenfalls alles bisher Gelernte nicht!
Das Semester hat folgende Themen:
1 RAUM - wie man eine dreidimensionale Ansicht in eine zweidimensionale so verwandelt, dass es die Illusion von Räumlichkeit in einer Zeichnung schafft. Dass dies eine Abstraktion ist und bleibt und zudem ein kulturelles Phänomen ist, sollte Ihnen zu denken geben.
Das Thema des Raumes zieht sich durch die ganze Einheit. In der ersten Stunde geht es zunächst nur um ganz simple Feststellungen, dass man weiss, wo oben und unten und vorne und hinten ist und um den Sonderfall der Verbiegungen und Verkürzungen.
2 MASSE und VOLUMEN - mit dem Wegfall des scharfen S in der Großschreibung haben wir hier eine schöne Doppeldeutigkeit. In dieser Einheit geht es um beides: Das Messen, also das Maß der Dinge und zugleich um deren Volumina, deren Masse. Und ganz einfach gesagt, geht es darum, Verfahren zu finden, die Ausdehnung und Wölbung von Körpern zu sehen und in 2D-Ansichten zu abstrahieren.
3 PROPORTIONEN - was sich im Vorangegangenen beim Messen und in der Beobachtung der Wölbungen der Dinge andeutete, wird hier genauer untersucht: Wie sehr Form durch das Verhältnis der Teile zueinander und dem Umgebenden bestimmt sind. Dass es so etwas wie Rhythmen in der Gestaltung gibt und dass es schon immer Versuche gab, diese in mehr oder weniger fassliche Formeln zu pressen. (Kleiner Ausflug in die Mythen und Legenden zum Goldenen Schnitt, oder: Was die Karnickelvermehrung, Phidias und die Schönheitschirurgie gemeinsam haben...)
4 PERSPEKTIVE - alle bisher gemachten Beobachtungen scheinen in einem Konzept der Gesamtsicht der Dinge plausibel und konstruierbar aufzugehen - wenn man den Blick fixiert auf wenige unbewegliche Punkte. Der Reiz dieser Konstruktionen liegt in der beschaulichen Dauer eines beinahe ewigen Anblicks der Dinge - und den konstruieren wir quasi mathematisch mit Zirkel und Lineal. Zumindest ansatzweise.
Einfach ausgedrückt, zeige ich Ihnen 2,3 traditionelle und klassische Ansätze, eine plausible Gesamtraumansicht zu zeichnen, in der die Dinge am richtigen Platz sind..."wie in echt"!
5 LICHT/SCHATTEN und TEXTUR - die Konstruktion von Licht und Schatten schliesst sich direkt an das Thema des Raumes an. Licht und Schatten folgen den Prinzipien des (gedachten oder konkreten) Raumes, in dem sich eine Lichtquelle (ob künstlich oder natürlich) befindet. Dass das Licht und der Schatten zudem noch ein Licht auf die Qualität der Oberflächen werfen, werden Sie sehen.
Die Mysterien des Raumes, Teil 1 (Mikroraum) :
Zum Auftakt nähern wir uns dem Raumphänomen in ganz kleinen Schritten, die aber einen großen Unterschied machen.
Wir sehen das Phänomen des Raumes als ein ganz einfaches Hinter- und Übereinander der Formen, die sich überschneiden und verdecken.
Die ausgeteilte Übung aus Daucher S.48 zeigt das auf einfachste Weise. Bitte zeichnet diese Übungen nach, erfindet weitere Schichtungen, Überschneidungen, Hinter- und Übereinandergeschichtetes.
Ich habe anhand zweier ungleich grosser Tonkugeln, die sich zu einer Form verbunden als eine sehr vereinfachte Birne deuten lassen, gezeigt, dass es an sich nur 3 verschiedene Grundformen der Überschneidung gibt, die dem Auge plausibel andeuten, von wo aus man auf einen Gegenstand schaut. Und dabei spielt es keine Rolle, wie gross die Form im Vordergrund ist, die Art der Überschneidung zeigt eindeutig, wo Vorne und Hinten oder Oben und Unten ist.
Unser Auge lässt sich also bereitwillig täuschen und erkennt anhand der Lage der leicht überschießenden Linien die Ordnung der Dinge, obwohl wir immer in der 2. Dimension bleiben. Wir spielen demnach mit Illusionen!
Vorne und Hinten, Verdreht, Oben und Unten |
Lediglich ein Sonderfall existiert, in der eine Form von Verdrehung dargestellt wird. Diese Art der Überschneidung werden wir häufig anwenden müssen, wenn wir bewegte Menschenkörper zeichnen.
Dieses Darstellungsprinzip ist schnell erklärt und leicht zu verstehen. Seltsamerweise existieren dennoch tonnenweise Zeichnungen von Zeichnern, die diese Beobachtung niemals gemacht zu haben scheinen. An organisch geformten Körpern in der Natur sind diese Überschneidungen subtil und vielfältig, machen aber richtig verstanden den Kern einer glaubhaften Darstellung von Körperlichkeit aus. Ohne die genaue Beobachtung dieses Phänomens nutzt jede noch so ausgefeilte Perspektivkonstruktion und Licht -und Schattenmagie nichts, man kriegt das Früchtchen oder was auch immer nicht "rund" und schon gar nicht zum liegen...
Warm-Ups:
15 Minuten zeichnen
5 Min Warmup sudeln
5 Min Blindzeichen, was vor Augen ist
5 Min Freistilringen mit der Zeichenkunst
Häufig angewandt führt dies unweigerlich zum Erfolg, oder wenigstens wird man schleichend besser...versprochen!
Übung des Abends:
Formt aus einem Klumpen Ton oder Plastilin 2 ungleich grosse Kugeln und verbindet diese zu einer birnenähnlichen Form.
Markiert die Mittelachse des Körpers durch das Durchstechen eines Holzstäbchens (Schaschlikspiess tuts auch).
Zeichnet dieses Gebilde aus allen nur denkbaren Positionen, von oben, unten, links, rechts, vorne und hinten und achtet insbesondere darauf, wie sich die Konturüberschneidungen verhalten, je nachdem, von wo aus man auf das Objekt schaut.
Das Gelernte auf Birnen und andere herumliegende Früchtchen übertragen...
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