Montag, 20. April 2020

Lektion 1, Montag 20.4.2020: Kritzeln, Sudeln / Skizzieren / Studieren / Analysieren

Lektion 1, Montag 20.4. - Montag 27.4.2020: 

Kritzeln, Sudeln / Skizzieren / Studieren / Analysieren


Worum geht es in Lektion 1?

In dieser Woche vom 20.4. an, sowie in der zweiten Woche ab 27.4. wird das Zusammenspiel der Grundfertigkeiten, die ein Zeichnender im Laufe seines Lebens üben sollte, genauer betrachtet und praktisch angewandt.

Was in einem Zeichnerleben immer gleichzeitig am Werk ist:
- Die Motorik des Zeichnens aus der Bewegung, der E-Motion heraus,
- das Sehen, das sich verweilend im Detail verliert,
- das Wissen um die Formen, die Größen, den Raum und das Licht.
sind immer "irgendwie" unbewusst verbunden  da und  eigentlich nicht klar voneinander zu trennen.

Wir werden in dieser Lektion  und in den einzelnen Übungen trotzdem den Versuch machen, uns diese Fertigkeiten bewußt zu machen, sie getrennt zu betrachten und zu üben, um sie dann am Ende in unseren Zeichnungen immer bewusster wieder zusammenzubringen.
Das ist ein Teil der Kunst: Zu wissen und zu können, was man tut.

Da unser Kurs ein fortgeschrittener Zeichenkurs zum künstlerischen Menschenzeichnen ist, soll es die Aufgabe sein, die gezeigten Methoden  in künstlerischer Weise und individuell angepasst anzuwenden.
Sollten wir auch unterschiedlicher Meinung sein, was denn nun jeweils die  Kunst an einer Zeichnung sei, in einem dürften wir auf jeden Fall übereinstimmen:
Sie existiert real in einem Werk = Materie auf Träger von einem Menschen bewußt in der Zeit bearbeitet und zu Ende gebracht. Mit Signatur, Brief und Sigel.

Um dieses WERK geht es in diesem abschließenden Kurs, in dem ihr aus Übungen zu euren fertigen, gerahmten und ausstellbaren Werken kommen sollt.


Wir werden folgende Werkzeuge kennenlernen bzw. wiederholen - die ein Zeichner-Leben lang geübt werden können/dürfen/müssen/sollen.

KRITZELN, SUDELN / SKIZZIEREN = Das unbewußte, suchende und von der Motorik des Zeichnens getragene Zeichnen.

STUDIEREN = Das Sehen sehen lernen in der langsamen, konzentrierten Beobachtung von Einzelheiten.

ANALYSIEREN = Das Zeichnen aus vielfältigem Wissen um einige Regeln heraus.



Was ihr braucht:

Material: - 1 Schulheft, möglichst unliniert,
- alle Arten von Stiften, die ihr zu Hause habt (Kugelschreiber, Bleistift, Marker, Feder, Buntstift, Wachskreide usw.),
- ein Stapel billiges Druckerpapier,
(ggf. auch einen Timer: Handy, Eieruhr, Sanduhr, Armbanduhr).

Das genügt erst einmal für unser tägliches Warmup und die ersten Übungen.

Vorlagen:
Unser Kurs kreist um die menschliche Figur, die es gilt, im Laufe der Zeit immer besser zu erfassen und in künstlerischer Zeichnung wiederzugeben.
Da wir zur Zeit nur uns selbst und unsere unmittelbaren Mitmenschen um uns haben, habe ich mir für den ausfallenden Aktabend etwas einfallen lassen, für das ihr später
Handy, Tablet oder Rechner braucht mit folgender aufgerufener Website:



In dieser Zeit ist dieser Link eine nicht zu verachtende Notlösung, die die Realität zwar klar unterbietet - aber immerhin bleibt man so dran, bis wir uns in echt wieder treffen.

Diese Website bietet einige vorteilhafte und für uns nützliche Einstellungen, die ihr euren Bedürfnissen nach einstellen könnt.
Der Timer ist von besonderer Wichtigkeit für unsere Übungen:

 Einstellen und dann auf "GET DRAWING" klicken!
Ihr erhaltet eine Abbildung, die genau so lange stehen bleibt, wie ihr eingestellt habt, dann kommt das nächste Modell. Gleich loszeichnen!




Schaut jetzt bitte, ob das für euch alle klappt, meldet mir bitte in WhatsApp zurück, ob es euch gelungen ist und ob ihr euch unsere Übungen so einrichten könnt!

Wenn das soweit geklärt ist und ihr eure Materialien parat habt, geht es  dann weiter mit unseren ersten Übungen.


1. Kritzeln, Sudeln:

Die folgenden Aufwärm-Übungen (sog. WarmUps) solltet ihr euch in unterschiedlicher Form so vertraut machen, dass sie zur täglichen Gewohnheit werden. 
Wie ein Sportler sich VOR dem Wettkampf, wie der Musiker sich HINTER der Bühne erst einmal Warmlaufen oder Warmspielen muss, so sollte es auch der Zeichner halten.

Worum es dabei geht, ist alles andere als KUNST.  Auf keinen Fall geht es um PERFEKTION! Hütet euch besonders vor der!
Es geht nicht um Können und Anstrengung, sondern um SPASS, ERFAHRUNG, EXPERIMENT, SPIEL, VERGNÜGEN und das ABENTEUER, Neues zu probieren und 
vor allem sich zu lockern. 
Das sollte auch der erfahrene Zeichner immer wieder üben. Nebenbei können die folgenden Übungen in ihrem Charme der Unvollkommenheit Überraschungen bieten, die ihr kreativ nutzen solltet. Und eure evtl. festgefahrenen Urteile über Qualitäten einer Zeichnung könnten allmählich in Bewegung kommen! 


Wer diesen Kurs von Anfang an mitgemacht hat, weiß schon, was jetzt kommt.
Wer nicht, erfährt hier alles dazu in diesem RELOAD des 6.10.2014:

✐ ÜBUNG 1:

Ihr braucht also jetzt euer erstes "Sudelheft" in Form eines Schulheftes sowie jeden eurer Stifte und füllt 
- jeden Tag mindestens eine Seite mit den 3 LINIENARTEN Gerade / Gebogene / Unregelmässige. Diesmal gebe ich kein Thema wie "Tanz der Eisprinzessin" oder "Starker Regen" vor, sondern überlasse es eurer Phantasie, eure Gedanken in Linie zu bringen. Bitte vermeidet unbedingt alles ABBILDEN, alle bekannten Formen und Symbole, keine Herzchen, Spiralen, Bäume, Münder oder gar AUGEN (um die man dann dauernd gebannt kreist, weil das Symbol so stark ist!) , sondern zeichnet Linienarten aus der reinen Körperbewegung mit einfachsten Mitteln!

Die beste Handhaltung eines Stiftes seht ihr in der folgenden Abbildung, die eine bewusste Empfehlung ist, keine Pflicht - aber mit wichtigen Folgen für die Qualität des Striches:








Kurzfilm "Lektion 1: SUDELN. KRITZELN"


Der folgende Kurzfilm soll euch zeigen, was ich mit SUDELN (= schlampiges, entspanntes, freies Kritzeln und Ausprobieren) genau meine und wie sehr es zumindest die meiste Zeit meines Zeichnens bestimmt :






Übung 2:



Wenn ihr euch meinen "Anreiz-Film" (engl. Teaser) angeschaut habt, seht ihr, dass ich euch dazu anreizen, -regen oder anstiften möchte, dass ihr mit lockerem und freiem Strich arbeitet und vorerst nicht zu sehr auf Formen und exakte Konturen achtet.
Im Moment soll die QUALITÄT der LINIE im Vordergrund stehen, nicht so sehr die Genauigkeit der Anatomie! Sonst gerät man unter Stress oder muss stundenlang schwitzend daran arbeiten (gell Horst 😉) .


"THINK OF YOUR EYES AS EARS"


Dazu gibt es auch wieder zwei Rückbesinnungen:

- mit Ohren zeichnen ist natürlich im übertragenen Sinn gemeint. Zeichnende sollten darauf achten  und (in sich) "hören" lernen , welche Gefühle eine Linie zum Ausdruck bringen kann.

Wir hatten das Phänomen damals zuerst mit
MUSIK
geübt.

Ich hatte euch zwei von vielen sog. Artikulationen vorgestellt, die  Musikern zur Verfügung stehen, einen Ton zu formen:

STACCATO = Abgehackt, getrennt, kurz   und
LEGATO= Gebunden, verbunden, schwingend

Diese Beispiele haben wir damals zu unterschiedlichen Musikstücken auf unsere Zeichenwerkzeuge übertragen. Kombiniert mit heftigem oder zartem Strich, kräftigem oder schwachem Druck entstand so von selbst eine lebendige Strichführung - ungegenständlich!, das ist dabei wichtig, weil man so vermeidet, zu sehr nachdenken zu müssen.

  Legt euch beim Warmzeichnen unterschiedliche Musikstücke auf und lasst eure Stifte Töne bilden:



Beispiel aus dem Kurs

Hier habe ich euch eine Kandinsky Malerei in schwarzweiss untergejubelt, aus der ihr entnehmen könnt, wie sehr eine solche musikalische Struktur von sich aus eigenständig  und ungegenständlich wirkt. 


  RELOAD "Mit den Ohren zeichnen II" 

  In einer weiteren Übung hatte ich euch beim Zeichnen  damals zugerufen "mit Wut zeichnen" oder "mit Zögern" oder "jetzt unsicher Zeichnen" oder "ängstlich" oder "forsch" oder "rücksichtslos"...usw

Seismogramme von Gefühlsausdrücken


  Um die Übung 2  vorzubereiten, solltet ihr euch in eurem Sudelheft für einige Minuten die Aufgabe stellen, mit freien Strichen/Linien unterschiedliche Gefühlsarten in Linienausdruck zu übersetzen. Versucht alle Möglichkeiten der Linienstärken (fester Druck, schwacher Druck) und des Aufsetzens (holpernd, stotternd, hüpfend, staccato und legato).


  Legt euch nun Abbildungen von Menschen in alltäglichen Posen zurecht, oder benutzt den oben angegebenen Link zu den Übungsposen zum Aktzeichnen.
"Übersetzt" die Posen mit Hilfe der gerade geübten Gefühlslinien in kurzen, 30sek Zeichnungen, die sich nicht auf die Kontur und anatomische Stimmigkeit  der Figur bezieht, sondern darauf, 
-  was die Figur macht, 
- wie sie in den Raum ragt oder sich biegt und 
- zeichnet die Bewegung der Figur mit einer Linie, die ein Gefühl ausdrückt.





Das Ziel dieser Übungen ist es, in kurzer Zeit mit nachgefühltem, lebendigem Strich das Wesen der Figur zu erfassen, nicht, wie sie das Auge sieht oder eine Kamera, sondern wir ihr sie mit euerem Inneren erlebt und erfasst!

Abb. aus Kimon Nicolaides, The Natural Way to Draw, S.17
(Buch wird am Ende von Lektion 1 vorgestellt)


Befreit euch so nach und nach von der Idee der fotografischen oder realistischen Genauigkeit - die lassen wir später mit wachsendem Wissen und Können dazukommen, wo wir sie brauchen.
Die Foto-Kopie ist keine Kunst, höchstens eine technische Leistung - und leider allzu oft sterbenslangweilig und selbstgefällig (was dasselbe ist...). Meine 5 Cent dazu.


Das Zauberwort heißt: INTERPRETATION. Der Zeichnende übersetzt das in Linien und Flächen, was er wirklich erlebt, wahrgenommen oder manchmal auch nur erahnt hat. 
Der Zeichnende macht sichtbar, was dem Sichtbaren nicht anzusehen ist.
Für das Sichtbare gibts genug Kameras...


  Abschliessende Aufgabe: 

Stellt euch den Timer sportlich ein, einige Zeichnungen in 10 Sek., einige in 20 Sek, dann 30 Sek und erst zum Schluß 1 min Posen. Es ist ok, wenn ihr nur Anfänge, Fragmente gezeichnet habt, es kommt auf die Art der Linie an!

Gebt beim Zeichnen der Figuren den LINIEN einen Auftrag aus euerem Gefühlsleben: 
Die kratzige, sperrige LINIE, 
die Linien aus Zärtlichkeit, 
die Linie mit Kraft, 
die sanfte Linie, 
die wütende Linie, 
die unsichere Linie. 
Denkt euch weitere, auch gerne kompliziertere Gefühle aus...

Zusammengefasst:

Bevor ihr an dass Zeichnen der Figuren geht, zeichnet diese Gefühlsanweisungen in euer SUDELHEFT  und dann mit den neu gefundenen AUSDRÜCKEN geht an die Figuren, macht aus den Figuren eure eigenen Interpretationen - und darum geht es in der KUNST. 

Eine künstlerische Zeichnung ist nicht eine perfekt abgezeichnete Kopie, sondern Interpretation einer erlebten Seherfahrung, die durch eure Wahrnehmung gegangen ist. 
Das kann keine Kamera, wird sie nie können, auch nicht mit KI...

Hiermit wäre die Station Kritzeln und Sudeln vorerst einmal abgehakt!

Die schon länger dabei sind, werden sich nun fragen, was das denn in der "Künstlerischen Menschenzeichnung" zu suchen habe, da es doch reiner und primitiver Anfängerkram zu sein scheint...

Glücklicherweise ist es eine Errungenschaft der Kunstentwicklung spätestens des 20.Jahrhunderts, dass die unmittelbaren und expressiven Möglichkeiten des Zeichnens nicht nur als blosse "Skizzen" oder schlimmer noch als blosses "Gekrakel" abgetan werden können.
Ich werde euch ganz am Ende dieser Sequenz einige bedeutende Zeichner des letzten Jahrhunderts vorstellen, deren Werk sehr stark aus diesem expressiven und unmittelbaren Ansatz kommt.

Wer sich daran arbeitend darauf einlassen will und kann, wird erleben und sehen, dass es sich um eine "ehrliche" Form des Zeichnens handelt, in der sichtbar wird, was in einem Zeichnerleben im Innersten angekommen, durchgearbeitet, erlebt und wiedergebbar geworden ist.

Ich persönlich komme immer wieder auf diese "basics" des Zeichnens zurück und erlebe so bei jeder neuen Schleife mit Überraschung, was sich sozusagen unbemerkt als Fundamente meiner Wahrnehmung, meines Sehens und meiner Fähigkeit zur Wiedergabe scheinbar wie von selbst geformt, angesammelt und gefestigt hat. Wie ich finde, ist das ein natürlicher Wachstumsprozess, aus dem das Zeichnen geradezu organisch hervorgehen kann.

Klar, dass die ersten eigenen Arbeiten dieser Art  dem beginnenden Zeichner  erst einmal unangenehm ungekonnt, nackt und roh daherkommen mögen, da einem die  Formlosigkeiten und der vielleicht ungelenke Strich so armselig erscheinen mag - aber da geht es meiner Meinung nach lang! 
Und der reifende Zeichner lernt die Rohheit der reinen, rohen Linie, die Unmittelbarkeit des Strichs, der sich im Augenblick ergibt, zu schätzen und genießen...

Mit auf der Zunge gebissener mühseliger, stundenlanger Abrackerei an einer nachahmenden Perfektionierung einr Photovorlage vergeht jedem das letzte Bisschen an Vergnügen an der Zeichnerei.
Es ist gut, sich zu mühen und zu lernen durch Nachahmung und Kopie. Aber bitte versucht nicht, mit dem Objektiv einer Fotokamera zu konkurrieren, sondern fotografische Vorlagen lediglich als Anlass, als Ausgangspunkt eigener Umdeutung(en) zu verwenden.


Was folgt noch in Lektion 1?

In der Lektion 1 habe ich mir das Ziel gesetzt, euch wieder mit den bisher vermittelten BASICS des Zeichnens in einem schnellen und konzentrierten Durchlauf vertraut zu machen - diesmal aber mit der Fragestellung, wie man diese Basics (die "einfachen Mittel", von denen ich im Untertitel des Kurses spreche) KÜNSTLERISCH anwenden kann und zu eigenen Lösungen bringt.

Ich kann euch meine Deutung von "künstlerisch" allerdings nur aus meiner Perspektive versuchen zu vermitteln. Schon bei unserer Diskussion, ob Egon Schiele gut und künstlerisch gezeichnet hat, haben wir ja sehr unterschiedliche Positionen erlebt, die eigentlich nicht wirklich zu klären sind. Für mich persönlich ist er ein sehr vorbildlicher, respektabler Zeichner, für andere nicht. Ich biete euch im Laufe des Kurses mehrere solcher "Steine des Anstosses", die ihr zur Kenntnis nehmen könnt/müßt/dürft, aber nicht gezwungnen seid, auch gut finden zu müssen.
Lernen könnt ihr bei allen etwas. Kopiert sie, auch die Missliebigen, von Zeit zu Zeit - gerade in der Reibung an diesen entsteht euer eigener Begriff von "Künstlerischer Zeichnung". Darum geht es mir.

In den folgenden Übungen dieser ersten Lektion tritt zu dem Abenteuer der Linie(n) dann nach und nach das
- Wissen um die Form(en)  und die andere Unmittelbarkeit des beobachtenden und sich versenkenden
- Sehens/Schauens/Anschauens.

So wird langsam und allmählich ein Schuh - pardon: eine künstlerische Menschenzeichnung daraus!
Versprochen.









Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

UNTERWEGS - Von 2011-2022 / Graphic Novel "Unterwegs - 8 authentische Stories" und Ausstellung "Urban Sketching" im Horber Kloster vom 9.9. - 2.10.22

 Ausstellung HORB 9.9. - 2.10.22 GEZEICHNETE REISEBERICHTE - AUSSTELLUNG "Urban Sketching" im Horber Kloster vom Fr. 9.9. - So 2.1...