Montag, 7. Dezember 2020

Abend 3, 7.12.20 - Raum und Perspektive(n)

Keine Angst vor großen Räumen!

Die Landschaft ist groß und weit und voller Dinge, die nicht alle auf einmal auf das Zeichenblatt passen. Also müssen wir uns etwas einfallen lassen! 

Die Geschichte der Kunst ist voller Tips und Tricks, damit umzugehen. 

Im Link zum Text des Victoria&Alberts Museums in London 

http://www.vam.ac.uk/content/articles/d/drawing-techniques/

sind einige vorgestellt, die aber nicht alle für das Landschaftszeichnen auf den ersten Blick nützlich sind.


Ein paar davon stelle ich heute vor:

Raum kann gezeichnet werden durch die

Staffelung / das Hintereinander der Dinge: 

- Demo BIRNE: Raum im Kleinen...

An zusammengesetzten Körpern, die aus wahrnehmbaren Abteilungen bestehen, wie hier z.B eine Birne, die oft eine ausladende Form an der Blüte hat und eine weniger ausgeprägte Form zum Stiel hin, muss man genau schauen, wie je nach Blickwinkel eine Form die andere überdeckt. 
Hier entstehen sog. Überschneidungen! Diese geschickt in der Zeichnung anzudeuten, sind das „Geheimnis“ einer überzeugenden plastischen, 3-dimensional wirkenden Zeichnung eines Körpers!




Meine eigenen Birnenstudien, Federzeichnungen



Das gilt für alle Arten von Körpern, also auch z.B. für die Darstellung des menschlichen Körpers! Beobachtet, wo und wie sich dort Überschneidungen zeigen.

Ich habe gestern anhand zweier Kreise, die sich mal von vorne nach hinten oder von oben nach unten überschnitten haben, gezeigt, wie einfach das geht. Probiert es selbst: Zeichnet zwei sich überlagernde Kreise und lasst ein kleines Stück eines Kreises über die Schnittpunkte hinausgehen, sofort entsteht die Illusion einer räumlichen Anordnung! 


Wie sich RAUM an kleinen Dingen zeigt...

- Schichtungen, Raum im Großen

An hintereinander angeordneten Dingen ist die Raumerfahrung ganz selbstverständlich zu machen: Was weiter vorne ist verdeckt, was dahinter ist. So simpel das ist, so wirksam kann und muß man es vor allem im großen  Maßstab der Landschaftszeichnung inszenieren: Das Hintereinander von Bäumen oder Wäldern, wie ein Hügel sich vor den anderen schiebt, ein Stein hinter dem anderen liegt, eine Wolke die andere verdeckt bis zum Horizont.

Übungen dazu:

Dazu bitte die folgenden Übungen aus  Daucher, Die große Zeichenschule nachzeichnen, auch gerne einmal einfach kopieren und andere Möglichkeiten des gezeigten Prinzips erfinden;  das ganze Kapitel "Landschaften" ab S.133 ist überaus nützlich und wiederholenswert.

Die erste Übung aus Daucher, S. 48 zeigt ganz einfache Beispiele dieser Beobachtung, die ihr bitte zuerst einfach mal nachzeichnet, um daraus dann eigene Ideen zu entwickeln. Die Übungen der Seiten 45-73 im Daucher sind allesamt sehr nützlich, um sich die Grundlagen von Räumlichkeit in der Zeichnung mit einfachen Mitteln klar zu machen. Wer das Buch noch haben sollte, kritzele bitte Etliches davon... (leider vergriffen, wird nicht mehr aufgelegt, antiquarisch schwanken die Preise von unverschämt bis Schnäppchen).

Die zweite Abbildung ist eine meiner früheren Übungen dazu - so kompliziert muß man es sich ja nicht machen, darf man aber auch mal... Das Spiel mit dem Raum beflügelt den Geist...

Die beiden letzten Abbildungen sind fortgeschrittene Motive der Idee. Bitte möglichst nachzeichnen und dann eigene Erfindungen ausprobieren. Die Fotovorlagen in "Vorlagen und Anregungen: Abend 3" können ja auf diese Weise -  als lineare Zeichnung umgedeutet - auch dafür genommen werden, indem ihr für die komplexen Formen wie Äcker, Wälder, Bäume und Straßen einfache Umrissformen entwickelt.





↺ Dazu gibt es eine Reload 2013:

Link zur Lektion Raum I (2013) - gerne auch die anderen Lektionen (Raum 2 und 3)  zur Kenntnis nehmen:

Raum II und III


Der Raum entsteht durch Kontrast und Intensität von Hell-Dunkel, Größen, Figur/Grund

Negativer Raum und Abstraktion von Figur und Grund:

Eine einfache Form der Räumlichkeit entsteht durch den Kontrast von Hell und Dunkel. Am deutlichsten als Schwarz-Weiß-Kontrast. Hier spricht man von „Figur und Grund“, was ziemlich leicht zu erfassen, aber vor allem sofort wirkungsvoll ist - also gut geeignet für interessante Zeichnungen!

 Auch die Umkehrung kann reizvoll sein, wie sie auf der ersten Abbildung inszeniert ist und in den Stuhlzeichnungen durchgearbeitet wurde. Das klappt auch im Wald und auf der Wiese und generell überall...

Wie man in den weiteren Abbildungen erkennen kann, ist hierin ein großes Abstraktionspotential, das in der gezeigten flott gestischen Landschaftszeichnung ausgekostet wurde, in Franz Klines völlig abstrakter Arbeit radikal inszeniert und in der Fotografie Gestaltungselement wurde.

Wir werden uns in der 2.Runde des Kurses ab Januar 2021 mit diesem einfachen, aber wirkungsvollen Gestaltungsprinzip ausführlicher beschäftigen, das uns darin unterstützen wird, gute Bildkompositionen zu entwickeln. (Für alle Teilnehmer, die die früheren Grundkurse bei mir besucht haben: “Notan“ ist das Stichwort, Daumennagelskizzen als Gestaltungshilfe)







Franz Kline



Der Raum ist eine Konstruktion, die uns mit Mathematik- und Geometrie-Kenntnissen vielleicht erst einmal einschüchtert - aber grundlos, denn wir nutzen "Tricks", die uns helfen:

Wie gestern gesagt und nur kurz demonstriert: „RAUM als Konstruktion“ wird uns eingehend zu Beginn 2021 in der 2.Runde des Kurses beschäftigen. Der dunkle, kalte Winter im Januar und Februar ist die perfekte Jahreszeit für eine eingehende Beschäftigung mit diesen nur scheinbar rein abstrakten und geistigen Dinge, für die wir da und dort aber nur eine klitzekleine, hilfreiche  Prise angewandter Mathematik und Geometrie brauchen - aber keine Bange, ich werde das in kleiner Dosis und eher praktisch, mit ein paar Kniffen, Hilfsmitteln und Geduld verabreichen!

Zunächst geht es darum, das Phänomen RAUM überhaupt erst einmal wahrgenommen und vor allem im Alltag gesehen und erlebt zu haben, was augenscheinlich gar nicht so einfach ist. Obwohl wir täglich darin leben und weben, fällt uns dieses Phänomen erstaunlich selten auf - wir wären sonst bestürzt über die Wirkung fluchtend-flüchtender Linien, fallender Decken, steigender Böden und bedrängender Verkürzungen...nichts für Klaustrophobiker also...

Zum Glück kann man das aber ab jetzt schon und sofort unbeschadet in der warmen Stube daheim üben! Und vor allem, nicht Tun, sondern erst einmal nur schauen! Allerdings mit einem HILFSMITTEL. Wozu ich euch bat, eine einfache Acrylglasplatte oder einen billigen sog. Hinterglasrahmen zu besorgen, dessen durchsichtige Scheibe ihr einfach mal vor eure Augen haltet und so eure Umgebung anschaut und euch dabei  etwa folgende Fragen stellt: 

Wo ist der Übergang von Decke und Wänden zu sehen und wie verläuft diese Linie? Wie sieht es aus, wenn ihr im Flur steht, wo gehendie Fußleisten entlang und wo enden sie? Sehe ich überhaupt irgendwo einen Horizont? Und wenn nein - was daheim wahrscheinlich ist  - wo könnte er sein? Was ist denn überhaupt meine Augenhöhe und wo liegt, steht oder sitzt sie denn genau? Wo schneiden sich eigentlich die Linien der Decke und des Bodens? Wie eine frühere Schülerin so herrlich sagte: Irgendwo weit hinter Nagold schneiden sie sich.... - Aber wozu muss ich denn all das wissen beim Zeichnen?


Übung:

Was ihr dazu braucht, ist eine etwa A4 große Acrylglasscheibe (Glas geht auch, ist aber zerbrechlich und deshalb problematisch) und ein sog. Whiteboardmarker, der sich wieder abwischen läßt! 

Bitte auf keinen Fall einen der üblichen Permanent- Filzmarker (Sharpie oder edding) benutzen - ihr ruiniert damit die Platte!

Zeichnet also mit einem abwischbaren sog. Whiteboardmarker eure Beobachtungen direkt auf die in den Blick gehaltene Acrylplatte, indem ihr versucht, diese stabil zu halten und beim direkten Nach-Zeichnen der Raumlinien (bitte mit ganz einfachen Markierungen und ohne feine Details) nur mit einem Auge schaut, das andere also zukneift. 

Die entstehende Zeichnung auf der Acryl-Glasplatte könnt ihr dann auf ein Blatt Papier legen und staunen, wie ein Raumeindruck entsteht. Diese Konstruktion zeichnet ihr so einfach wie möglich nach und macht daraus nach Lust und Laune eine erste Innenraum-Urban-Sketch! Und dann weitere...

Früher nannte sich das Genre: INTERIEUR, was eine Art Innenraum-Architekturzeichnung ist oder je nach Lust, Liebe und Können das wunderbare Thema der Innenraumbetrachtung, konkret oder metaphorisch  - ein komplexes oder erweitertes Thema der Stilleben-Zeichnung, das es oft auch wunderbar in poetisch gibt, was schön ist (Da hör ich den Song "In my Room" von Brian Wilson/Beach Boys - wäre ein Thema, oder nicht, oder wohl oder doch?)

A.v.Menzel, Das Balkonzimmer 1845

Menzel, Schlafzimmer des Künstlers

Zu den obigen Gemälden des von mir vor allem als Zeichner (und frühen "Urban Sketcher": Berliner Alltag war sein Ding in hunderten Skizzen) sehr geschätzten Adolf von Menzel gibt es eine ziemlich schulisch streng vermittelte klassische Schulstunde zu Perspektive - an der aber nichts falsch ist. Beides lohnt sich zu lesen: 

Biografie Menzels

Schulstunde Perspektive


Wir werden in Runde 2 ähnliche Themen, vielleicht nicht ganz so streng behandeln...



DEMO Acrylglasplatte:


Raumecke durch Acrylglasplatte gesehen und mit Whiteboardmarker festgehalten. So kann man selbst komplexe Raumkonstruktionen verstehen und übertragen! Das geht auch - und noch viel einfacher - in der Landschaft!


Zur Vorbereitung für die 2.Runde in 2021 bitte ich euch, den Text des Victoria&Alberts Museum über „Perspektive“ gelesen zu haben!

Hier nun ein wichtiger Baustein daraus:

Das Konstruktionsproblem des Raumes wurde erst wieder ab der Renaissance erst wirklich bewußt, als die Darstellung des urbanen Raums Thema der Malerei wurde und dessen Geometrie den Malern bewußt wurde (siehe Text V&A Museum). 

Birth of Perspective


Solange wir in der Architektur stehen, wird uns Raum als Geometrie und Mathematik bewußt - in der Landschaft verlieren wir diese Dimension, hier konstruieren wir den Raum eher durch die heute vorgestellten Methoden der Schichtung, des Hinter-, Neben- und Übereinander, der Staffelung in Helligkeitswerten, Größen und Dichten, z.B. Texturen sind vorne gut zu erkenne, hinten verschwimmen Details. Die Farb- oder Helligkeitswerte ändern sich vom Vordergrund bis zum Hintergrund, wenn man diese Staffelung bewußt betont: Vorne dunkel, Mittelgrund mittelgrau, hinten hellgrau, erzielt man alleine nur so schon glaubwürdigen Raum.

Sobald aber ein Horizont und ein irgendwie gerichtetes Bauobjekt (Strasse, Weg, Bauwerk) auftritt, müssen wir uns mit der Konstruktion des Raumes beschäftigen (Fluchtpunkte, Verkürzungen, Zentralperspektive, 2-Punkt-Perspektive) ! 

Was wir aber erst in der nächsten Runde tun werden!


Interessant zu wissen:
- Konstruktionslose Landschaftszeichnung verliert gerne die Dimension. Die Anwesenheit einer Vergleichsgröße, die unserer Alltagserfahrung entspricht, belebt nicht nur eine Zeichnung, sondern gibt ihr DIMENSION und PROPORTION! Ein Tier oder Mensch auf dem Bild belebt also in jeder Hinsicht!

Beispiel:
Fast dimensionslose Zeichnung, auf den ersten Blick ohne Größenortung

Sobald einem aber die winzigen Menschen darin auffallen, werden die Bäume riesig und die Welt weit!




- Andere Kulturkreise haben andere Formen der Auseinandersetzung mit dem Raum, siehe japanische und chinesische Landschaftsmalerei/-zeichnung:




Welche(s) der vorgestellten Raumdarstellungsmittel kommen zum Einsatz?


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